Schulleiterin Dr Knell im Interview zum Besuch in Schweden

Frau Dr. Knell, Schulleiterin der Käthe-Kollwitz-Schule, nutzte bei ihrer Schwedenreise im November 2015 die Gelegenheit zu fachlichem Austausch  mit schwedischen Schulleitungen in Eskilstuna.

Lesen Sie hier ihr Interview mit Astrid Hüther, internationale Koordinatorin an der Käthe-Kollwitz-Schule Marburg.

 

Intern. Koord.: Frau Dr. Knell, was hat Sie bewegt im November für einige Tage nach Schweden zu reisen und sich dort mit anderen Schulleitungsmitgliedern auszutauschen?

Dr. Knell: Für mich als Schulleiterin ist es wichtig, über den Tellerrand zu schauen und den Geist zu weiten, um einen neuen Blick auf das eigene System zu gewinnen und Impulse und Anregungen aus dem europäischen Ausland für die eigene Schule zu generieren. In besonderem Maße ist es für mich bedeutsam, auch die Studierenden der Fachschule für Sozialwesen in ihren ausländischen Praxisstellen zu beobachten und in ihren Aktivitäten zu unterstützen.

Intern. Koord.: Können Sie mir ein Highlight Ihrer Reise kurz beschreiben?

Dr. Knell: Das schönste Erlebnis war das Treffen mit den Studierenden, die sich bereits nach zwei Wochen in ihren Praxisstellen wohlfühlen, sich mit Freude und Engagement in die einzelnen Einrichtungen eingelebt haben und in englischer Sprache mit Anleitern und den zu betreuenden Kindern intensiv kommunizieren können. Dabei konnte ich sehen, dass sie eigene Aktivitäten schon sicher gestalten und umsetzen können und hohe Wertschätzung von den Mentoren und den Einrichtungsleitungen erfahren. Ich bin stolz, dass unsere Studierenden hoch wertgeschätzte Botschafterinnen unserer Schule sind und so wertvolle berufliche Erfahrungen im Ausland sammeln. Das stärkt zugleich die interkulturelle Kompetenz und den europäischen Austausch.

Intern. Koord.: Haben Sie denn auch berufliche Schulen in Eskilstuna kennen gelernt?

Dr. Knell: Natürlich haben wir berufliche Schulen, welche anders als in Deutschland organisiert sind, besucht. Schweden hat kein duales System sondern die berufliche Ausbildung findet in den so genannten beruflichen Gymnasien statt. Die Finanzierung jedoch ist ähnlich wie in Deutschland, nämlich einerseits über die Kommune und anderseits über den Staat; zugleich ist die Finanzierung an das unterschiedliche Schülerklientel gebunden und meinem Eindruck nach insg. gut finanziert. Es ist erstaunlich und beeindruckend, dass ein nicht-pädagogisches Unterstützungsteam, z.B. Psychologe, Arzt, Krankenschwester, Verwaltungsfachkräfte, zur Verfügung steht. Für etwa gleichgroße Systeme wie die Käthe-Kollwitz-Schule sind großzügige Bibliotheken mit neuen Medien und einer umfangreichen Literaturauswahl, sowohl mit Fach- als auch Sachbüchern ausgestattet und diese werden auch entsprechend durch Fachkräfte betreut und ganztägige Öffnungszeiten garantiert.

Inter. Koord.: Können Sie Unterschiede zur Lehrkräftesituation zwischen Marburg und Eskilstuna feststellen?

Dr. Knell: Die Ausstattung im Hotel- und Gaststättenbereich, welche mich besonders interessierte, ist überaus professionell, zeitgemäß und großzügig angelegt. Ein Ausbildungsrestaurant, welches teilweise kommerziell arbeitet, ist vorhanden und wird von Gästen auch von außerhalb sehr gerne genutzt. Die Schülerinnen und Schüler leben in besonderen Maße Gastfreundschaft.

Intern. Koord.: Konnten Sie Vergleiche zum Einsatz und den Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte ziehen?

Dr. Knell: Die Arbeitszeit der Lehrkräfte ist grundsätzlich anders organisiert und wird finanziell weniger angemessen honoriert als in Deutschland. Auffallend ist eine Präsenzpflicht von 35 Stunden pro Arbeitswoche und jede Lehrkraft hat einen eigenen Arbeitsplatz in der Schule. Die Unterrichtsverpflichtung beträgt in der Regel 18-22 Stunden pro Woche, dazu gibt es eine Verpflichtung von 10 Wochenstunden für außer-unterrichtliche Projekte und regelmäßige Teamsitzungen bezogen auf die zu unterrichtenden Lerngruppen. Dies gilt sowohl für berufsqualifizierende Schulen als auch für Grundschulen.

Intern. Koord.: Sie waren auch in einer Grundschule?

Dr. Knell: Ja, beeindruckend war, dass unsere Studierenden dort eher in der Rolle als Lehrkraft eingesetzt und sowohl von den Kindern als auch von den Lehrkräften respektiert werden; sie werden als Bereicherung aufgenommen und anerkannt. In Eskilstuna ist die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen, sei es aus Afrika, der arabischen Welt oder anderen europäischen Ländern, ständig gegeben. In der besuchten Grundschule Lagersbergsskolan, welche immer von Klasse 1-6 geführt wird, war der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund derzeit über 70% und die Schulleiterin rechnet wegen der aktuellen Flüchtlingssituation damit, dass die Schule in den kommenden Jahren bis zu 90 % Kinder mit ausländischen Wurzeln haben wird. Für diese Schule ist es schwierig, sowohl ausreichend Gelder zu akquirieren als auch Lehrkräfte zu rekrutieren und im System zu halten. Sie benötigt leidenschaftliche und sozial engagierte Pädagogen, die wir dort zwar antrafen, aber auch in Schweden nicht leicht verfügbar sind.

Intern. Koord.: Das heißt, Sie haben auch die aktuelle Flüchtlingssituation vor Ort mit den Leitungen besprochen und selbst erfahren?

Dr. Knell: In Eskilstuna kommen täglich ca. 300 neue Flüchtlinge an und die Schulleitungen haben keine sichere Information, welcher Bedarf und welche Herausforderungen sich daraus in näherer Zukunft entwickeln werden. Sehr betroffen hat mich gemacht, dass auch in der schwedischen Gesellschaft bildungsnahe Familien die Schulen meiden, welche einen hohen Anteil an bildungsfernen Kindern betreuen.

Intern. Koord.: Konnten Sie aus ihren Gesprächen heraus weitere partnerschaftliche Kontakte knüpfen oder neue Projekte der Zusammenarbeit generieren?

Dr. Knell: Ja, neben der Kontaktpflege, was ein zentraler Anlass meiner Reise war, traf ich auf eine hohe Offenheit für neue Formen der Zusammenarbeit in allen Schulen an. Wir konnten z.B. neue Praxisplätze für unsere Studierenden gewinnen. Für den Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes ergab sich aus den Gesprächen spontan eine Anbahnung eines Lehrkräfte-Austauschs bereits Ende November diesen Jahres. Hier werden zwei Lehrkräfte die Hotel- und Touristik-Fachschule in Marburg besuchen, um im weiteren Verlauf Kooperationen zu entwickeln. Darüber hinaus beeindruckt das Land durch seine gelebte Gelassenheit und freundliche Atmosphäre und sehr offene Gesprächführung auf allen Ebenen.

 

Bildeindrücke der Auslandspraktika aus dem Jahr 2015 der Fachschule für Sozialwesen finden Sie hier.