Studierende der Fachschule für Sozialwesen treffen Erzieherinnen und Erzieher an der Universität Sibiu/Hermannstadt (Rumänien)

Im Rahmen eines Auslandspraktikum sind vier Studierende der Käthe-Kollwitz-Schule in Marburg aktuell im Auslandspraktikum in Rumanien an zwei Orten: In Timisoara und Sibiu/Hermannsstadt arbeiten jeweils Zweierteams als PraktikantInnen in KiTas, in denen Deutsch Betreuungssprache ist. Trotz der verschwindend geringen deutschmuttersprachlichen Minderheit in Rumänien (etwa 20.000), gestatten die wohlwollende staatliche Minderheitengesetzgebung und das rege Interesse der Rumänen an deren gutem Image eine deutschsprachige Schulausbildung, die sich in verschiedenen Städten Rumäniens konzentriert. Diese Deutschsprachigkeit wird heute getragen von rumänischen Absolventen der deutschsprachigen Bildungsgänge.

Studierende der Fachschule für Sozialwesen treffen Erzieherinnen und Erzieher an der Universität Sibiu/Hermannstadt

Nachdem sich beim abendlichen Hunde-Spaziergang mit unserer KitaLeiterin und einer Mitarbeiterin im Fachbereich Pädagogik der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt die Möglichkeit ergab, hinsichtlich der Frage nach der deutschsprachigen PädagogInnen-Ausbildung in Rumänien Kontakt zur verantwortlichen Dozentin Frau Dr. Iunesch herzustellen, entwickelte sich daraus folgender rumänisch-deutscher Austausch:

Frau Dr. Iunesch „tauschte“ eine Befragung nach dem Stand der deutschsprachigen Pädagogenausbildung, der Situation der deutschsprachigen Kindergärten und Schulbildung gegen einen Besuch unsererseits in ihrem Seminar an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, wo wir heute zu Gast waren und somit nicht nur die Daten abfragen konnten, sondern auch mit den zukünftigen PädagogInnen selbst in einen Austausch kommen konnten.

Eine systematische Erarbeitung der Frage nach dem deutschsprachigen Unterricht und den Kindergärten mit Deutsch als Betreuungssprache wird an anderem Ort erfolgen.

Hier nur soviel: Die – obwohl es nur noch eine sehr geringe deutschsprachige Minderheit gibt – bei den Rumänen sehr beliebte deutschsprachige KiTa-Pädagogik und Schulausbildung kämpft mit dem Wunsch der Eltern, die Kinder mögen möglichst früh auf Leistung getrimmt werden. Umfangreiche After-School-Programme sind in Mode gekommen, wo schon in der KiTa, aber auch besonders in den Grundschulen von den Lehrkräften erwartet wird, private zu bezahlende Zusatzstunden anzubieten – und das nicht als Ergänzung für die Leistungsschwächeren, sondern primär als Ergänzung für die Leistungsstarken. Dies wird von den LehrerInnen (hier in Rumänien wird in der Ausbildung nicht unterschieden zwischen ErzieherInnen-Ausbildung und LehrerInnen-Ausbildung) erwartet und vielfach ist es auch ob der schlechten Verdienstmöglichkeiten nötig, Zusatzstunden in KiTa und Schule anzubieten.

Frau Dr. Iunesch kritisierte solches elitäres Denken und formulierte, die Zeit des Behaviorismus (im Sinne einer Verhaltenskonditionierung, welche sich allein auf den zu überprüfenden Lernerfolg konzentriert) sei vorbei, die Kinder kein „formbares Plastilin“, sondern sie forderte einen „Konstruktivismus“ ein, in dem die Bedürfnisse des Kindes im Mittelpunkt stehen und Lernen im Dreiklang von Rekonstruieren (Entdecken von Welt), Konstruieren (Erfinden von Welt) und Dekonstruieren (Kritisieren von Welt) erfolgen solle.

Die Studierenden sind übrigens allesamt AbsolventInnen des deutschsprachigen Bildungssystems und keine Deutsch-MuttersprachlerInnen, sondern RumänInnen, weshalb das von ihnen erreichte Sprachniveau sehr beeindruckend war, wie bei den an uns herangetragenen Fragen zu bemerken war (Studienvorausetzung ist allerdings auch ein C1-Sprachniveau). Hieraus ergibt sich der Umstand, dass es in Sibiu bereits eine Agentur gibt, die sich damit beschäftigt, die AbsolventInnen für den deutschen ErzieherInnen-Arbeitsmarkt speziell im Raum Stuttgart abzuwerben, obwohl das deutschsprachige Bildungssystem hier (in Rumänien) dringend Nachwuchskräfte sucht und die Einrichtungen mit deutscher Betreuungs- oder Ausbildungssprache sich erweitern könnten, es aber aufgrund des Mangels an qualifiziertem deutschsprechendem Personal nicht können. Daher war es für uns eine besonders interessante Erfahrung, einen Teil dieser Studierenden kennenlernen zu können.

Aktuell studieren im 1. Jahrgang an der Lucian-Blaga-Universität 23 Studierende (2 männlich), im 2. Jahrgang ebenfalls 23 (2 männlich) und im 3. Ausbildungsjahr 16 aus ganz Rumänien.

In der historischen Entwicklung des deutschsprachigen Schulsystems war es in Siebenbürgen so, dass eigene universitäre Ausbildungsstätten erst spät errichtet worden sind, da die Ansicht vorherrschte, die Deutschsprachigen sollen in Deutschland studieren „und das dort erworbene Wissen hierher verpflanzen“ (Dr. Iunesch). Daher gibt es traditionell ein großes Interesse und eine Durchlässigkeit für pädagogische Strömungen hierher nach Rumänien.
Allerdings – so eine KiTa-Leiterin hier aus Hermannstadt – könne man auf gewisse Konzepte, die im westeuropäischen Kontext bereits wieder kritisch gesehen werden, gern verzichten und es stelle sich etwa die Frage, warum „wir hier auch noch offene Konzepte toll finden sollen und nicht bei dem bleiben, was sich bewährt hat“.
Maßgeblich beeinflusst habe die pädagogische Ausbildung in Rumänien Stefan Ludwig Roth, ein Schüler Pestalozzis, weshalb laut Frau Dr. Iunesch ein Maßstab der deutschsprachigen pädagogischen Ausbildung in Rumänien bis heute sei, dass praktisches Lernen in der Nachfolge Pestalozzis besonderes Gewicht haben müsse. Deshalb etwa gibt es bereits in der KiTa Schwimmunterricht und Sportstunden.

Diesen praktischen Bezug werden die Studierenden des ersten Lehrjahres in einem Wochenendblockseminar am kommenden Wochenende erleben und wir wurden herzlich zur Teilnahme eingeladen:
Auf der Kirchenburg in Holzmengen (http://kirchenburgen.org/location/holzmengen-hosman/) in Gemeinschaftsschlafsälen nächtigend und Holzwache haltend (wird der Ofen nicht befeuert im 2-Stunden-Takt wird es kalt werden) werden wir zusammen mit den Studierenden des deutschsprachigen Pädagogikfachbereiches an einem erlebnispädagogischen Seminar teilnehmen mit einer Einführung zur Erlebnispädagogik, Kooperationsaufgaben, Wanderungen u.a. vor der herrlichen Kulisse des Karpatenbogens und sogar ein Zertifikat der Universität erwerben.

Der konkrete Bericht dazu folgt!

Jens Frömming