Begegnung mit dem jüdischen Leben – Auszubildende des Fleischerhandwerks besichtigen die Marburger Synagoge in der Liebigstraße

Einen Einblick in das religiöse Leben der jüdischen Gemeinde Marburg erhielten 10 Auszubildenden, die an der Käthe-Kollwitz-Schule ihre Ausbildung zum/r Fleischer*in bzw. Fleischereiverkäufer*in absolvieren, im Rahmen ihres Religionsunterrichtes. Bereits im März hatte die Lerngruppe die Besichtigung der Marburger Synagoge geplant, doch aufgrund der Pandemie konnte die Erkundung dieses besonderen außerschulischen Lernortes nicht stattfinden. Nach der „Zwangspause“ darf die jüdische Gemeinde jetzt wieder die Türen ihrer Synagoge für interessierte Besucher öffnen. „Unsere Synagoge ist ein offenes Gebetshaus für alle Völker“, erklärte Thorsten Schmermund, der stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, der die Jugendlichen herzlich empfing.

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Das Gebäude wurde nicht als Gotteshaus errichtet, sondern hat eine ereignisreiche „Geschichte“ aufzuweisen. Bis 1929 war auf dem Gelände die Wurstfabrik von Metzgermeister Louis Sälzer III zu finden, bevor die AOK dort ein Beratungszentrum baute. Nach dem 2. Weltkrieg diente es als Geschäftshaus für einen Einzelhändler. 2002 erwarb die jüdische Gemeinde das Haus und gestaltete den ehemaligen Schalterraum zu einer Synagoge mit einer ganz besonderen Architektur um. „Da wir in Richtung Jerusalem beten und auch der Schrank mit den Thorarollen dementsprechend ausgerichtet sein muss, haben wir durch eine Holzwand einen Raum im Raum geschaffen“, erläuterte Thorsten Schmermund den Gästen. Besonders positiv fielen den Jugendlichen die gut gepolsterten Sitze auf, die in einem Kibbuz in Israel gezimmert wurden und als „Marburger Synagogenstühle“ bekannt sind. „Bei uns kann ein Gottesdienst schon mal drei Stunden dauern und deshalb ist es uns wichtig, dass wir bequem sitzen“, so Schmermund. Ein Höhepunkt des Besuches war der Moment, als Thorsten Schmermund den Thoraschrank öffnete und eine 130 Jahre alte Schriftrolle dort hervorholte. Hierzu sagte er: „Die Schriftrollen werden mit Federkiel und Tinte von Hand auf Pergament geschrieben. Es dauert etwa ein Jahr, bis eine Thorarolle fertiggestellt ist, und sie kostet mindestens 25.000 Dollar.“

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Die Auszubildenden dürften sogar selbst an die „Bima“, den Tisch, auf dem die Thora während des Gottesdienstes liegt, herantreten und sich die kunstvolle gestaltete Schriftrolle ansehen. Das umstrittene Thema „Schächten“ diskutierten die Jugendlichen ebenfalls mit ihrem Gastgeber, der selbst bei den heimischen Metzgern sein Fleisch einkauft, auch wenn diese nicht in traditioneller Weise schlachten. „Wir Juden verstehen uns als Partner Gottes in der Schöpfung. Unser Auftrag ist es, die Welt ein bisschen besser zu machen“, betonte Thorsten Schmermund. Von ihrem Besuch in der Synagoge nahmen die Auszubildenden nicht nur ihre Handyfotos mit, sondern auch viele positive Eindrücke vom religiösen Leben der Juden. „Uns als Schule ist es wichtig, dass die uns anvertrauten jungen Menschen ihren Erfahrungshorizont erweitern“, betont die Schulleiterin Kerstin Büchsenschütz. „Wir befinden uns als KKS auf dem Weg zur Entwicklung des Profils der inklusiven Beruflichen Schule und Voraussetzungen dafür sind Offenheit, Toleranz und die Bereitschaft zum Dialog.“ (Text: Mirjam Wege)

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