„Käthe in Form“ auf neuen Wegen – Die Klasse 12 FOS3 folgt bei der Sternwanderung dem Weg von „Hexen, Hebammen und Heiligen“

An einem außergewöhnlichen Lernort – dem sogenannten „Hexenturm“ auf der Nordwestecke des Landgrafenschlosses – trafen sich die 19 Schülerinnen und Schüler der Fachoberschulklasse 12 FOS 3 der Käthe-Kollwitz-Schule am 3. September 2020. Von dort aus nahm die Marburger Professorin Dr. Marita Metz-Becker die Jugendlichen mit auf eine faszinierende Zeitreise. „Hexen, Hebammen, Heilige“ unter diesem Motto stand die zweistündige Stadtführung, die den Jugendlichen einen Einblick in die Welt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vermittelte.

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In den Jahren 1550 bis 1866 diente der dreigeschossige Geschützturm auf dem Schlossberg als Gefängnis. „Der letzte Insasse war Ludwig Hilberg, der eine Frau auf grausame Weise getötet hatte und für diese Tat 1864 hingerichtet wurde“, erklärte Professorin Marita Metz-Becker. Den Namen „Hexenturm“ trägt das historische Gebäude deshalb, weil im 17. Jahrhundert dort Frauen eingesperrt wurden, die wegen Hexerei angeklagt waren. „Im Marburger Staatsarchiv sind zahlreiche Akten von sogenannten Hexenprozessen zu finden, die zwischen 1650 und 1660 in Marburg stattfanden“, so die Wissenschaftlerin. „Die neuere Forschung zeigt, dass es sich dabei vor allem um ältere Frauen handelte, die nach dem Tod des Mannes verarmt und deshalb auf die Fürsorge der Dorfgemeinschaft angewiesen waren.“ Die Hexenverfolgung habe sich dazu geeignet, diese „Versorgungsfälle“ loszuwerden. Das magische Denken – der Glaube an den negativen Einfluss des Teufels, mit dem sich die „Hexen“ einließen, um ihren Mitmenschen zu schaden – war weit verbreitet. „Einerseits wurde auf die Hilfe dieser Frauen, die oft in der Heil- und Kräuterkunde sehr bewandert waren, zurückgegriffen, aber wenn die Medizin oder die heilenden Sprüche keine Wirkung zeigten bzw. die Kuh dann trotzdem starb, erklärte man sie zum Sündenbock“, erläuterte Marita Metz-Becker. Bereits die Haft in dem kalten, dunklen „Hexenturm“ sollte der Peinigung der angeklagten Frauen dienen. Zusätzlich wurden sie auf grausamste Weise gefoltert, bis sie dann ein falsches Geständnis ablegten und zugaben, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Erst mit der Aufklärung kommt der Gedanke der Resozialisierung von Straftätern auf und es werden Gefängnisse errichtet.

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Die zweite Station der Stadtführung war die Elisabethkirche, die zwischen 1235 und 1283 als Grabeskirche zu Ehren der Heiligen Elisabeth von Thüringen errichtet wurde. „Dieses gotische Bauwerk ist ein Kleinod für jeden Kunsthistoriker und dient bis heute als Pilgerstätte für viele Gläubige“, so die Kulturwissenschaftlerin. Nach dem Tod ihres Mannes Ludwig von Thüringen kam die Landgräfin Elisabeth 1228 nach Marburg. Sie folgte dem Ideal der Armutsbewegung des Franziskus von Assisi und errichtet in Marburg ein Hospital, in dem sie selbst bis zur Erschöpfung die Kranken pflegte, so dass sie bereits im Alter von 24 Jahren verstarb. Im Zuge der Reformation wurden die sterblichen Überreste Elisabeths aus der Kirche entfernt. Das Grab selbst und der Elisabethschrein sind aber noch zu sehen.

Direkt neben der Elisabethkirche befindet sich die sogenannte „Accouchieranstalt“, ein Geburtshaus, das in der Zeit der Aufklärung entstand. „Während die Geburtshilfe in den Jahrzehnten zuvor in den Händen der Hebammen lag, beanspruchten nun die Ärzte diesen Bereich für sich“, erklärte Marita Metz-Becker. „Freiwillig wollte aber keine Frau dort ihr Kind zur Welt bringen, deshalb wurde ein Gesetz erlassen, dass unehelich schwangere Frauen dort entbinden mussten.“ Dem Geburtsvorgang wohnten meist Medizinstudenten bei und es wurden verschiedene Instrumente der „Geburtshilfe“ an den Frauen erprobt, was eine unvorstellbare Qual darstellte.

Die Fachoberschülerinnen und -schüler waren sehr beeindruckt von dieser besonderen Zeitreise, die ihnen vor allem die Lebenssituation von Frauen in früheren Zeiten vergegenwärtigte. Das Thema „Rollenbilder in der historischen Entwicklung“ ist Teil des Lehrplans im Fach Deutsch, so dass die Stadtführung eine gute Verbindung zum Unterricht darstellte.

Nicht nur die Fachoberschulgruppe war an diesem 3. September 2020 in der Stadt unterwegs. Auf dem „Emil-Behring-Pfad“, dem „Grimmpfad“, rund um das Schloss oder den Marktplatz waren zahlreiche Lerngruppen der Käthe-Kollwitz-Schule zu finden. Die „Sternwanderungen“ bildeten einen Bestandteil des traditionellen Aktionstages „Käthe in Form“, der immer am dritten Donnerstag des neuen Schuljahres durchgeführt wird und der zur Stärkung des sozial Miteinanders in den Klassen und der gesamten Schulgemeinde dient sowie den Profilschwerpunkt „Gesundheitsförderung“ in Fokus des schulischen Lebens rückt.