Erlebnispädagogikwochenende auf der Kirchenburg in Holzmengen/Hosman oder:
„Die Bedingung(en) der Möglichkeit(en) kreativ nutzen“


Oftmals ist es so, dass es einzelne Personen sind, die aus den gegebenen Bedingungen und vorgefundenen Möglichkeiten Ideen entwickeln, um neue Wege zu bestreiten und wünschenswerte Ziele zu erreichen.
Im konkreten Fall konzentriert sich dies auf den Umstand, im Gemeinschaftserlebnis sich selbst und seine Fähigkeiten, seine Toleranzen, seine Fertigkeiten und Kenntnisse zu testen, zu erweitern und für sich selbst Bedingungen zu schaffen, die neue Möglichkeiten im Umgang mit konkreten Herausforderungen aufzuzeigen vermögen.
Frau Dr. Liane Regina Iunesch schrieb 2014 in ihrem Aufsatz „Immer noch 3 Varianten – die Ausbildung von Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen in Rumänien“ (zett 27, a.a.O., Seite 9ff.), für die Entwicklung und Ausgestaltung des fünfjährigen Pädagogikstudienganges an der Lucian-Blaga-Universität sei durch die strikte Festlegung der verbindlichen Studieninhalte „ gemäß dem rumänischen Unterrichtsgesetz wenig Spielraum für individuelle Gestaltung, Innovation oder kreative[n] Ideen gegeben“ (zett 27, a.a.O., Seite 10).
Daher sei es wünschenswert, „ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie und Praxis, Musik, Kunst (in kreativen Werkstätten), Gemeinschaftsbildung (durch Workshops), Erlebnispädagogik [und] Theaterpädagogik“ zu erreichen.
Eine sehr bemerkenswerte praktische Ausformung eines so formulierten Anspruches durften wir zwei Hermannstädter Auslandspraktikanten der Käthe-Kollwitz-Schule am dritten Oktoberwochenende während einer Veranstaltung des Fachbereichs deutschsprachige Pädagogik der Lucian-Blaga-Universität miterleben, die maßgeblich dem persönlichen Einsatz und Know-How von Frau Iunesch und der Unterstützung verschiedener Seiten zu verdanken ist (so wurde die Veranstaltung professionell und ganz überwiegend gefilmt, wodurch eine intensivere spätere Auswertung möglich gemacht wird).
Seit einigen Jahren besteht für die Studierenden des ersten Studienjahres die Möglichkeit zum Besuch eines erlebnispädagogischen Wochenendes, welches jedoch in seiner Gesamtanlage weit über die Vermittlung von Erlebnispädagogik hinausgeht, indem ein Gesamtkonzept aus Vermittlung von erlebnispädagogischen und kulturellen Inhalten in Verbindung mit dem Ort der Veranstaltung geschaffen wurde.

Holzmengen/Hosman und der Erlebnispädagogikworkshop
Das Konzept von Erlebnispädagogik war für uns spürbar intensiv zu verinnerlichen, da das Umfeld und die Umstände, die Frau Dr. Iunesch zu einem Gesamtpaket geschnürt hatte, stimmten.
Die Gruppe bestand aus Studierenden des ersten Studienjahres und wurde angereichert durch Studierende auch höherer Studienjahre, die – obwohl sie teils die Spiele aus der Veranstaltung des vorangegangenen Jahres kannten – in bemerkenswerter Disziplin nicht Lösungen den neuen TeilnehmerInnen vorexerziert haben; sondern in bemerkenswerter Reibungslosigkeit waren wir in der Lage, insgesamt zehn teils langwierige Aufgaben zu lösen und Spiele zu absolvieren.

Planung der ÜbungenÜbung "Blindes Pferd"Übung "Blinde Schlange"

Was allerdings nicht heißt, dass ich nicht immer noch davon ausgehe, dass eventuell zumindest ein bereits aus einem späteren Studienjahr stammender Teilnehmer von Frau Dr. Iunesch als konsequenter Stressfaktor während der Kooperationsspiele bewusst gecastet worden war und – sofern es eine Aufgabe gewesen sein sollte – diese durch seine soziale Kompetenz, Freundlichkeit und das Vermögen, selbst mich dazu zu bringen, sächsische Tänze mittanzen zu wollen, mit großer Effizienz ausgefüllt hat.

Lassowerfer

 

Ich erwähne dies daher lediglich, um den OrganisatorInnen solcher Veranstaltungen zu empfehlen, wirklich einmal darüber nachzudenken, ob nicht der geplante Einsatz eines menschlichen Stressfaktors und die anschließende Reflexion darüber im Zweifel eine Bereicherung des Lernerfolges darstellen könnten! Und um einem falschen Eindruck entgegenzuwirken: Das Zusammenleben und Zusammenwirken aller an diesem Wochenende Beteiligten war sehr harmonisch und zielorientiert.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor für das Gelingen dieses Wochenendes war der Ort, an dem es stattfand und welcher in all seinen Möglichkeiten umfassend genutzt wurde. So fanden der Großteil der Spiele auf einer mit Obstbäumen bestandenen, auch als Pferdeweide genutzten Wiese (das Pferd war dieser Ansicht – die Hauswirtschafterin der Kirchenburg allerdings nicht, weshalb sie es bei Bemerken immer wieder lautstark vertrieb) oberhalb des ehemaligen Pfarrhauses auf dem Gelände der Kirchenburg von Holzmengen/Hosman statt.

Das Pferd am FensterBlick auf die Kirchenburg

Somit war schon allein durch die Unebenheit des Bodens sowie die bewusste Einbeziehung von gewissen Pferdehinterlassenschaften in Parcours-Aufgaben ein besonders wertvolles konkretes Naturerleben gegeben, da das Ganze auf dem Plateau einer Anhöhe situiert war und somit die jeweilige Wetterlage, die wechselnden Lichtverhältnisse der Tageszeiten jederzeit spürbar und sichtbar waren. Lösungsorientiertes, schnelles Handeln kann so auch einmal dadurch entstehen, dass ein kleiner Regen bei ansonsten schönem Wetter zur rechten Zeit zur Eile antrieb. Denn es wurde schon teils sehr umfangreich über die Bedingungen und Möglichkeiten zur Lösung einzelner Aufgaben diskutiert, weshalb es im konkreten Fall dann im Wortsinn sehr erfrischend zu erleben war, wie gut ein kleiner Schauer die Ergebnisorientierung befördern kann.
Zudem war uns die beeindruckende Kulisse der Kirchenburg stets im Blick und verdeutlichte ganz augenscheinlich noch einmal in besonderer Weise Ziel und Inhalte des Wochenendes: Praxisnähe, Lernerfolg, Vernetzung, Gemeinschaftserleben und Bereicherung begegnen sich mit Bewahrung kulturellen Erbes und Kulturaustausch.

Eindrücke von der Kirchenburg HolzmengenEindrücke von der Kirchenburg Holzmengen

Eine später umgebaute Basilika aus dem 12. Jahrhundert, deren sehenswertes Eingangsportal noch erhalten ist bis hin zu (selten erhalten gebliebenen) größeren Resten der Originalbemalung bildet die Mitte einer Anlage, deren im 15. Jahrhundert durch den Ausbau zu einer Kirchenburg errichteten beiden steinernen Befestigungsringe noch erhalten sind. Auch die ehemaligen hölzernen Wehrgänge sind noch zu erahnen.
Für mich ergab sich dadurch auch die Möglichkeit, religionspädagogisch aktiv zu werden, indem ich am Sonntagmorgen um eine kurze ökumenische Andacht gebeten wurde, die auch von den orthodoxen TeilnehmerInnen gern besucht wurde. Auch gemeinsames geistliches Singen findet in einem evangelischen Gesangbuch Lieder, die mit Freude mitgesungen werden.

Konkretes Lernen und Erleben
Überhaupt wurde uns ebenso praktisch erlebbar der im Verlauf unserer Gespräche immer wieder zu hörende Satz, Sprache könne und müsse auch und besonders durch das Singen von Liedern vermittelt werden. Und so war festzustellen, dass die rumänischen deutschsprachige Pädagogik-Studierenden einen reichen Schatz an deutschen Liedern kennen – vom Volkslied bis zum morgendlich wummernden Wachwerde-Hiphop. Die Lehrende pflegt zudem diesen Liederschatz mit ihren Studierenden.
Frau Dr. Iunesch erwies uns zu Gitarrenbegleitung die Freude, sächsisches Liedgut zu singen, weshalb es uns möglich war, die siebenbürgische Mundart auch einmal zu hören. Später am Samstagabend wurde dies dann noch ergänzt durch das Erlernen des sächsischen Fenstertanzes (während einer Drehbewegung beim Tanzen wird durch choreografierte Armbewegungen ein Fenster beim Zusammenkommen der Tanzpaare erzeugt).

SingenTanzen

Am abendlichen Lagerfeuer


Während eines abendlichen Gespräches formulierte ein spontaner Besucher, der längere Zeit in Deutschland gearbeitet hatte, die Reste einer deutschsprachigen Kultur in Rumänien könne ich auch in den Bereichen, wo sie von RumänInnen weiter getragen und vermittelt werden, gerade noch erleben – in 50 Jahren sei dies alles Geschichte!
Ansonsten waren wir uns in diesem Gespräch, in dessen Verlauf wir ausgemacht hatten, bei jeder Meinungsübereinstimmung auf die deutsch-rumänische Freundschaft zu trinken, ganz überwiegend einig. Ich jedoch habe an diesem Wochenende Menschen erlebt, die trotz ihrer reichhaltigen eigenen rumänischen (Tanz-)Kultur etwa auch bewusst siebenbürgische Tänze, Kultur und Lebensart im Rahmen des abendlichen Zusammenseins von den älteren Studierenden an die jüngeren weitervermitteln wollen. Sie sind mit einer solchen Intensität an der deutschsprachigen Kultur und Lebensart interessiert, dass ich an dieser Stelle das Übereinstimmungs-Zuprosten abgelehnt hatte.
Ich wünsche dem deutschsprachigen Bildungswesen in Rumänien nicht nur ein Überleben, sondern ein langes, vitales Leben und werde versuchen, einen Teil dazu beizutragen, das Erfahrene und Erlernte in meiner Heimat weiterzuerzählen. Herzlichen Dank für diese bereichernde Begegnung!
Um den Bereich des Kulturaustausches nun auch in meiner Schilderung abzuschließen, noch soviel: Es war ebenso eine Bereicherung, dass die Einquartierung in zwei Gemeinschaftsschlafsälen stattfand, was den Austausch intensiver ermöglichte – aber auch der Umstand, dass es nicht die Zentralheizung war, die Warmwasser und Heizung gewährleistete, sondern die Holzheizung regelmäßig zu bestücken war, begünstigte neben den eigentlichen Bestandteilen des Seminars den Gruppenbildungsprozess. Das historische Gebäude ermöglichte eine Entschleunigung und das Gelände überhaupt war eine Wohltat fürs Gemüt. (Hier findet übrigens auch das Holzstock-Jugendmusikfestival jährlich statt).
Da wir neben einer siebenbürgersächsischstämmigen Teilnehmerin die Teilnehmer mit Deutsch als Muttersprache waren, ergab sich ganz selbstverständlich die Regel, dass alle Teilnehmer auch untereinander nur deutsch sprechen sollten, was auch allzumeist eingehalten worden ist und uns verdeutlichte, in welcher bemerkenswerter Weise das deutschsprachige Bildungswesen in Rumänien in der Lage ist, Deutschsprachigkeit zu vermitteln. Ich möchte an dieser Stelle allen TeilnehmerInnen meine Bewunderung hierfür aussprechen!
Eigentlich wäre nun der Ort, einzelne Spiele und Kooperationsaufgaben zu schildern, worauf ich jedoch aus dem Grunde verzichten möchte, dass unser Besuch in einer Weise Früchte trägt, die es – um zukünftigen TeilnehmerInnen nicht zuviel vorneweg zu verraten – sinnvoll erscheinen lassen, hier lediglich durch einige Bilder einen Eindruck zu vermitteln.

Kooperationsübung Spinnennetz

 

Das Gemeinschaftserlebnis trägt bereits weitere Früchte

Zertifikat über die Teilnahme

Ganz konkret mit nach Hause nehmen können wir ein Zertifikat der Lucian-Blaga-Universität, neue persönliche Kontakte und für die kommende Generation von Studierenden der Käthe-Kollwitz-Schule, die sich für ein Auslandspraktikum in Rumänien entscheiden, eine herzliche Einladung von Frau Dr. Iunesch, sich im nächsten Jahr gerne frühzeitig zu melden, wenn der Wunsch nach einer Teilnahme an diesem hochqualifiziert durchgeführten Erlebnispädagogikworkshopgewünscht wird. Ich empfehle dies sehr, da so der Auslandsaufenthalt noch einmal auf eine weitere Weise intensiviert wird über die Arbeit in einer Einrichtung und das Leben in einer fremden Stadt hinaus. Für uns ergab sich zudem bereits am Tag nach unserer Rückkehr die Einladung einer Erzieherin (die am Wochenende teilgenommen hatte), die in einem anderen deutschsprachigen Kindergarten hier in Sibiu arbeitet, auch ihre Einrichtung zu besuchen, da man dort gegebenenfalls auch an einer Kooperation interessiert sei mit dem Auslandspraktikumsprogramm der Käthe-Kollwitz-Schule.

Zudem werden wir die Gelegenheit haben, die Vorklasse (nicht mit dem Konzept der deutschen Vorklassen gleichzusetzen, sondern eine 0. Grundschulklasse) der Grundschule No. 2 in Sibiu für einen Tag zu besuchen und wurden hier unter dem Hinweis eingeladen: „Ich kann Euch dann doch auch in den Unterricht einplanen?“ Ja. Kannst Du. Wir freuen uns sehr darauf!
Daneben gilt mein besonderer Dank Frau Dr. Iunesch für Ihre Einladung in der Hoffnung, dass sich diese Möglichkeit der Begegnung von rumänischen und deutschen Pädagogikstudierenden verstetigt.

Text und Fotos: Jens Frömming

Zitate aus: Dr. Liana Regina Iunesch: Immer noch 3 Varianten, Die Ausbildung von Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen in Rumänien, in: Zett 27/2014, Zeitschrift des Zentrums für Lehrerfortbildung, Nr. 27/2014, Februar 2014, hrsg. vom Zentrum für Lehrerfortbildung in deutscher Sprache, Hg. Dr. Radu Creƫulescu, Mediaș 2014.